One line

Maxim Kolomiiets: Im Spiegel … Kerzen. Annotation

für Stimmen

(2023)

Das Stück ist eine Phantasmagorie der letzten Lebensjahre von Wassyl Stus, der in einem Arbeitslager im Norden der Sowjetunion im Jahr 1985 starb. Die Zärtlichkeit und das Seelenvolle der Musik stehen in scharfem Kontrast zu den kalten und distanzierten Handlungen der Sänger. Ihr Handeln gleicht eher einem Verhör durch NKVD-Ermittler. Diese Handlungen sind wie Erinnerungsfetzen an die Folterungen und Verhöre in den letzten Lebensjahren von Wassyl. Es ist ein Versuch, in den Jahren der schwersten Prüfungen und der Einsamkeit das Kostbarste, das Rührendste, das Schönste aus den Tiefen seiner Seele hervorzuholen.

 

 

Aus der Gedichtsammlung »Palimpseste« von Wassyl Stus (7.01.1975)

 

Dort ist Stille. Stille ist dort. Trocken und schwarz.

Und Funken sprühen, wo graue Tauben Kreise drehen.

Wie sollte einem da nicht vor Prophezeiungen grauen,

wenn einem Nacht und Dunkel bis zum Halse stehen?

Den Anschein hat es, erfahrene Zukunftsschauer

werfen bestimmend die Würfel für dich.

Auf Opferkarosin der Schönschrift der Trauer –

Allfolgsamkeit, sich ihr entziehen kann man nicht.

Der Spiegel schläft. Im Spiegel schlafen Kerzen

wie Schmetterlinge zergliedert, wie Bärenklau,

in dessen Prise wie Diamanten deine Schmerzen.

Die Schwermut späht mit geblendetem Auge.

Bleib. Wisch nicht vom Spiegel den Staub.

Nur deine Ängste sind’s, deine Ängste, Ängste.

 

(Übersetzung aus dem Ukrainischen: Tanja Maljartschuk)