Carola Bauckholt: nein allein
für fünf Stimmen
(1999/2000)Carola Bauckholt: nein allein
Das Stück »nein allein« für fünf Stimmen, uraufgeführt im Jahr 2000 bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik, setzt den Ansatz der Komposition »Schraubdichtung« in anderer Richtung fort: Nicht Begriffe, die musikalisch umgesetzt werden, stehen am Anfang des Werks, sondern Emotionen, wie sie sich in den Klängen der Sprache ausdrücken. Zum Beispiel, wie es klingt, wenn man auf die verschiedensten Arten »ja« sagt, wenn man flucht, um Hilfe schreit oder flüstert. Darüber hinaus geht es der Komponistin wieder um konkrete Vorstellungen, die sie musikalisch darzustellen und mit Begriffen zu benennen sucht: Ineinander-kriechen, Auseinander-schälen, Los-lösen, Ab-ziehen, Ab-tupfen, Wischen und Fest-saugen. »Da gibt es zum Beispiel solche Glissandostrukturen, wenn ein Glissando sich in den Raum ausbreitet. Die Stimmen bewegen sich voneinander weg und breiten sich im Raum aus. Genauso habe ich das dann auch benannt: auseinander gehen oder zusammensinken, wachsen, vorsichtig behutsam ausdehnen. Ich benenne also das, was musikalisch passiert«, so Carola Bauckholt.
(Gisela Gronemeyer)
Essay
Das Werkverzeichnis der Komponistin Carola Bauckholt, die bei Mauricio Kagel studierte und viele Jahre an Aufführungen von Kagels »Instrumentalem Theater« beteiligt war, weist eine Vielzahl origineller musiktheatralischer Arbeiten auf. Mit einer von ihnen, nämlich dem 1999 in Berlin uraufgeführten Stück »Es wird sich zeigen«, hängt das ein Jahr später für die Wittener Kammermusiktage geschriebene Vokalwerk” nein allein” eng zusammen–es ist eine Art Auskoppelung daraus. Bauckholt operiert in ihrer Musik immer wieder mit Alltagsbezügen und ironischen Pointierungen des Habituellen. Sprechend gewählt sind in dieser Hinsicht manche ihrer Stücktitel, etwa In gewohnter Umgebung, Treibstoff oder Vertraute Rätsel. Der Titel ihres Stückes nein allein für die Neuen Vocalsolisten deutet an, dass diese Tendenz auch hier fortgesetzt wird. Dabei ist der Text weit weniger dominant, als man es aus der Tradition der europäischen Vokalmusik kennt. Er ist, wie Carola Bauckholt selbst in ihrer Beschreibung des Kompositionsprozesses erläutert, auf ungewöhnliche Weise verankert: »Meist existierten Klang und Rhythmus zuerst, und dann kam das Wort. Dieser Vorgang war etwas absurd und spannend, denn plötzlich tauchte genau das Wort auf, das musikalisch und inhaltlich passte. Wenn nicht, musste ich weitersuchen oder herausfinden, woran es hakte. Der Text benennt meist das, was musikalisch passiert.« Die lapidare Alltagssprache des Stückes ist verschränkt mit einem durchaus existenziellen Anspruch: Imaginiert wird ein Mensch, der mit alltäglicher Sprache nicht nur hantiert, sondern ihr auch unweigerlich ausgesetzt ist. Seine psychische Befindlichkeit wechselt zwischen stark extrovertierten und eher introvertierten Momenten. Diese imaginierte ‘Person’ ist auf die fünf Sänger aufgefächert. Damit sagt das Stück freilich auch etwas aus über die Perspektiven kollektiven Singens und dessen Gefahr einer Verfestigung zur Floskelhaftigkeit und zur hohlen Affirmation. Mit bemerkenswerter Leichtigkeit und einem Gespür für ironische Spielarten des Dialektischen setzt sich Carola Bauckholts Musik, während sie sich dieser Floskelhaftigkeit bedient, über solche Momente hinweg. Zugleich erschließt sich gerade ein Werk wie nein allein, abseits vorgefertigter Rollen, einen ganz eigenen musiktheatralischen Raum.
(Jörn Peter Hiekel)