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Unsuk Chin: Cosmigimmicks

Als ich diesen Auftrag vom Nieuw Ensemble, dem Southwest Ensemble und den Wittener Tagen für Neue Kammermusik erhielt, dachte ich sofort daran, ein Werk zu komponieren, das mit Pantomime zu tun hat. Besonders inspiriert hat mich die einzigartige instrumentale Struktur des Nieuw Ensemblesim imaginären Theater der Kosmigimmicks spielen Zupfinstrumente (Gitarre, Mandoline und Harfe) die Hauptrollen, während die anderen Instrumente (präpariertes Klavier, Violine, Trompete und Schlagzeug) sich verkleiden, um in einem Spiel von Masken und Mimikry mitzuspielen. Häufig verschmelzen alle Instrumente zu einem einzigen »Superinstrument«: Sowohl der Pianist als auch der Geiger imitieren die Zupfinstrumente, ersterer durch Präparation, letzterer durch ungewöhnliche Spieltechniken; nicht zuletzt wird das Schlagwerk (das teilweise auch vom Trompeter gespielt wird) eingesetzt, um eine größtmögliche Klangsymbiose mit den anderen Instrumenten zu erreichen. Die Gesamtklangfarbe des Stückes ist metallisch und sehr fragil.

Dieser ungewöhnliche Klangcharakter der Instrumentation rief auch strukturelle, harmonische und rhythmische Ideen hervor, die alle mit dem Begriff der musikalischen Pantomime verbunden sind. Warum Pantomime? Was mich besonders fasziniert, ist die Fähigkeit eines guten Pantomimen, Archetypen und ganze Lebensgeschichten in wenigen Gesten prägnant zusammenzufassen, ohne sich um lineare Zeit oder eine reine Erzählung kümmern zu müssen. Im besten Fall ist die Pantomime in der Lage, sowohl das Erhabene als auch das Niedere in einer oft verblüffenden Mischung aus Ritual und Nonsens, aus Straße und hoher Kunst, aus Wahnsinn und Kontemplation, aus Tragik und grober Komik zu umarmen.

Die Pantomime stammt aus einer Zeit, in der die Menschen noch nicht sprachen, und hat sich seither in den verschiedensten Formen entwickelt. Es gibt asiatische Traditionen der Pantomime, die in der Regel extrem formalisiert und sehr komplex sind. In Europa war die Kunst der Pantomime, die von der Kirche und den Machthabern oft verpönt wurde, seit den alten Griechen eine starke Unterströmung in der Geschichte des Theaters: Wie Martin Esslin hervorgehoben hat, gibt es eine Verwandtschaft des Ausdrucks zwischen so unterschiedlichen Phänomenen wie der Commedia dell’arte, Shakespeares Narren, den Meistern des Stummfilms und dem Theater des Absurden.

In cosmigimmicks ging es mir jedoch keineswegs darum, die Geschichte der Pantomime abzubilden. Stattdessen habe ich mich auf drei für mich wichtige Szenen konzentriert. Bei diesen Szenen handelt es sich nicht um Erzählungen, sondern um objekthafte Eindrücke, die in die musikalische Zeit ausgedehnt wurden und oft eine fiebrige Monotonie besitzen.

Der erste Satz, Schattenspiel, hat nichts mit Pantomime zu tun, sondern mit Schattenpuppenspiel. Er beginnt mit einem bloßen Geräusch, aus dem sich allmählich Töne und Harmonien herausbilden. Die musikalischen Gesten sind schattenhaft, Figuren erscheinen und verschwinden blitzschnell. Diese Gesten sind rätselhaft, ungreifbar und unberechenbar wie Kafkas Odradek. Räumliche und strukturelle Kontraste (zwischen fern und nah und zwischen verschwommen und klar) werden erforscht. Die Musik bewegt sich häufig an der Grenze zwischen Geräusch und Klang, als würde sie die Gesten heran- und herauszoomen. Im Laufe des Satzes wird die Musik immer komplexer, die extrem schnellen Figuren werden im Gegenzug langsamer und ausgedehnter.

Der zweite Satz, Quad, wurde durch die beiden gleichnamigen Fernsehspiele von Samuel Beckett inspiriert (bei denen es sich in der Tat um »geometrische Pantomimen« handelt). Es handelt sich um eine stark rhythmische Szene, einfach und regelmäßig, wobei die tempoartige Bewegung durch eine Art metrische Modulation ständig beschleunigt wird. Jedes Instrument wird hier in eine Art Schlagzeug verwandelt.

Der letzte Satz mit dem Titel Thall ist eine Hommage an György Ligeti. Der Titel ist koreanisch und bedeutet »Maske«. Im Zentrum dieses Satzes steht die Gitarre, die eine aus wenigen Mikrotönen bestehende Quasi-Melodie spielt, die immer wieder wiederholt wird. Im Einklang mit den wechselnden Harmonien der anderen Instrumente verändert sich diese »Melodie«, ähnlich der Veränderung des Gesichtsausdrucks eines Pantomimen (ein wenig wie in Marcel Marceaus Le Fabricant de Masques). Der Gesamtcharakter von Thall ist sowohl leicht sentimental als auch makaber und beschreibt die Psyche eines zerrissenen Menschen, wobei die Veränderung der mentalen Zustände durch die Veränderung der harmonischen Sprache illustriert wird.

Trotz aller genannten Bezüge und Anregungen ist cosmigimmicks höchst abstrakt und subjektiv und sicherlich keine literarische Programmmusik.

Unsuk Chin, 2012