Christian Mason: Invisible Threads
Performance Installation für mobile Stimmen, Bassklarinette, Akkordeon und Streichquartett auf einen Text von Paul Griffiths
(2022–2023)Vor kurzem stieß ich auf ein kleines blaues Büchlein der Komponistin und »Hörkünstlerin« Pauline Oliveros. In »Quantum Listening« fand ich Worte, die mir halfen, über mein eigenes Stück nachzudenken, das ich–während ich diese Zeilen schreibe–noch komponiere. Oliveros schreibt, »wenn man zuhört, entscheiden die Klangpartikel, gehört zu werden. Das Zuhören beeinflusst das, was erklingt. Es ist eine symbiotische Beziehung. Während man zuhört, wird die Umgebung belebt. Das ist der Effekt des Zuhörens.« Ich finde die Idee–und die Erfahrung–von Räumen, die durch den Fokus aufmerksamer Ohren belebt werden, sehr inspirierend. In solchen Momenten kollektiver Konzentration fühlt es sich fast so an, als würden unsichtbare Fäden zwischen uns wachsen, die uns für einen Moment miteinander verbinden, bevor wir uns wieder in die Welt zerstreuen. Beim Ritual der Aufführung geht es nicht nur um die Musik, die gespielt wird, sondern vor allem darum, Zeit miteinander in diesem besonderen Bewusstseinszustand zu verbringen.
Während dieser »Performance-Installation« bewegen sich die Zuhörenden frei durch die Räume des Museums (Märkisches Museum Witten, 2023), während die Ausführenden einem eher formalisierten Ritual räumlicher Beziehungen folgen, die sich während der Dauer des Stücks verändern. Diese Bewegungsfreiheit erlaubt es Ihnen, Ihre Aufmerksamkeit auf unvorhersehbare Weise auf die Klänge zu lenken: vielleicht möchten Sie sich eine Weile auf den besonderen Klang des Akkordeons konzentrieren … dann auf Bariton oder Cello … Bassklarinette oder Sopran … die Interaktion zwischen Stimmen und Geigen … und später vielleicht eine globalere, aus- gewogenere Sicht auf das Ganze. Die Möglichkeit, unsere Nähe zu den Klangquellen zu variieren–aus der Nähe oder aus der Ferne zu hören–ist das Wesen von Invisible Threads. Dieses räumliche Klangritual wird von einem bemerkenswerten »polyphonen« Text zusammengehalten, den Paul Griffiths verfasst hat. Ausgangspunkt für all dies war das Nachdenken über die geheimnisvolle Welt der Pilze und des Myzels und die Art und Weise, wie sich ihre verzweigten Wurzeln mit den Wurzeln der Bäume verflechten, um riesige, wenn auch unsichtbare, kommunikative Netzwerke unter der Erdoberfläche zu bilden. Aber wie so oft in kreativen Prozessen entfernte sich das Stück von seinem Ursprung und wurde zu diesem kleinen Stück Zeit und Raum, in dem ich Sie einlade, den Klängen, die Sie umgeben, zu lauschen–aus der Nähe oder aus der Ferne.
(Christian Mason)
Nahe beieinander liegende Klänge beeinflussen sich gegenseitig.
Hörer, die einander nahe sind, beeinflussen sich gegenseitig durch
aktives Zuhören.
(Pauline Oliveros)
Der Text ist ein Geflecht von Wörtern, eine Art unterirdisches Gewebe, in dem die Bedeutung weitgehend verborgen ist, da ein Wort in ein anderes fließt, und zwar eher durch Klangverbindungen als durch Syntax. Alles geht von dem Wort »Myzel« aus, ins- besondere von seinen drei konsonantischen Lauten, die alle erweiterbar sind. Wie in einem echten Myzel gibt es zahlreiche Verzweigungen nach außen und wieder nach innen sowie sinnvolle Sätze, die hier und da entstehen, wie Fruchtkörper. Dazu gehören oft neue Konsonanten: t, r und n, zum Beispiel in »beleuchtet eine maßlose Feierlichkeit«. Das generative Wort »Myzel« wird jedoch kaum verwendet, und der Text verweist zu keinem Zeitpunkt auf den Gegen- stand. Der Text bewahrt damit eine Unkenntnis.
(Paul Griffiths)
Zuhören beinhaltet eine Gegenseitigkeit des Energieflusses; Energieaustausch; sympathische Schwingung; Einstimmung auf das Netz von gegenseitig unterstützenden, miteinander verbundenen Gedanken, Gefühlen, Träumen, Lebenskräften, die unser Leben ausmachen; Empathie; die Grundlage für Mitgefühl und Liebe.
(Pauline Oliveros)
‘ e r o t i c ‘ m u s h r o o m (+v +r)––––––
line 3 joins line 1 before ‘mimulus’
a lass lay low, slowly loom a male ally, leave, evolve, oh live!, olive, svelt ever, reversely emulous, mimulus,
amass
a mess, messy essay, assay source, ‘Esau, say yes!’, sesame, same ass meme
amo
ammo
sis, some similar simile, ascesis asocial?, awe, awesome!, mallow, lo, molossus!
Amiss
missile silo assail?, aim massy mace, mame, limb loss, lame, moil else lie low, allow asylum?, malice,
Kompositionsauftrag der Stadt Witten
Uraufführung, 22. April 2023, Wittener Tage für Neue Kammermusik